Dienstag, 27. April 2010

10.Tag - Meine erste Deutschstunde

Nachdem ich mich am Tag zuvor, gründlich auf die kommende Stunde vorbereitet habe und noch morgens auf dem Markt war, um Kreide zu besorgen, sitze ich nun um fünf vor zehn auf einer Stufe, vor dem geschlossenen Schulgebäude. Alles ist etwas unklar und ich weiß noch wer und ob mir jemand einen Raum aufschließt. Normalerweise plane ich immer gern im voraus, aber das kann ich mir hier glaube ich abgewöhnen. Zuerst wusste ich nicht mal zu welcher Schule ich muss, niemand konnte mir sagen ob Kreide dort ist oder wo ich sie am besten bekommen kann und mit dem Schlüssel hieß es, dass würde sich dann schon am Samstag klären. Also sitze ich, warte, schwitze und gehe erneut die Themen meiner Deutschstunde durch.
Es ist viertel nach 10Uhr, niemand ist da und ich mache mir langsam Sorgen, dass niemand kommen wird, obwohl ich alle am Vortag noch einmal persönlich angerufen habe und mir alle versichert haben sie würden kommen. 10:25 Uhr, von weitem sehe ich meinen ersten Schüler auftauchen. Es ist Kojo, eines der Führungsmitglieder von AIM in Ghana, mit seiner Ankunft löst sich auch das Schlüsselproblem. Er informiert mich, dass der Schlüssel bei einem kleinem Mädchen aus dem Haus gegenüber hinterlegt wurde und wir besuchen sie gemeinsam. Hier werde ich nun meinen Schlüssel in Zukunft immer abholen. Nach und nach trudeln zwei weitere Schüler von mir ein. Mercy, ein Mädchen das im Internet Cafe arbeitet und Francis, einer der Youth Club Leader. Solomon will auch mitmachen, leider ruft er mich jedoch an und sagt ab. Meine Nachbarin Lilly ist auch nicht da, obwohl wir noch am Morgen darüber gesprochen haben. Ich rufe sie an um zu fragen wo sie bleibt und sie teilt mir mit, dass sie leider auch nicht kann. Ich starte also meine Stunde mit drei von sieben Schülern (kein schlechter Schnitt, wie ich später erfahren werde). Zuerst sprechen wir darüber was jeder einzelne vom Kurs erwartet und ob schon  jemand Erfahrung mit der deutschen Sprache hat. Da dies meine ersten Unterrichtserfahrungen sind und meine Schüler schon erwachsen sind, bitte ich außerdem um Verbesserungsvorschläge und Vorschläge hinsichtlicht der kommenden Stunden.
Danach erkläre ich was ich von meinen Schülern erwarte wie z.B. Pünktlichkeit und das sie mir Absagen wenn sie nicht kommen können, damit ich Bescheid weiß ob ich die Stunde überhaupt halten kann (falls zB nur einer kommt). Außerdem werde ich am Anfang jeder Stunde einen kleinen Vokabeltest schreiben und am Ende meiner Zeit hier eine kleine Klausur mit allem was wir bis dahin geschafft haben. Wenn der Unterricht dann von jemand anderem weiter geführt wird, ist es vielleicht einfacher zu erkennen wie der stand der Schüler ist. Auch wenn nur drei tatsächlich gekommen sind, wirken sie sehr motiviert. Wir bearbeiten das Alphabet und die Umlaute, Zahlen, Wochentage und "greetings and responses". Alle machen gut mit und schreiben von der Tafel ab, gemeinsam gehen wir die Betonung der Wörter durch und ich stelle einfache Fragen zu den Vokabeln. Am Ende der Stunde bekomme ich ein positives Feedback von den Schülern und ich hoffe sehr dass es ihnen wirklich gefallen hat. Ich denke es wird sich daran zeigen wer am nächsten Samstag wieder auftaucht. -Gerne nehme ich überings Tipps und Ratschläge von den Lehrern unter euch an!
Nach meinem Unterricht besuche ich Tom, Hanna und Adrian die anderen Freiwilligen in ihrem Haus. Sie berichten mir das Unpünktlichkeit oder sogar das niemand auftaucht, nicht ungewöhnlich ist und ich mit der Anwesenheit von fast der Hälfte der Schüler noch froh sein kann. Es ist sehr schwierig dieser Unzuverlässigkeit entgegenzuwirken. Sämtliche Aktivitäten sind freiwillig und wenn man zu sehr meckert kann es sein das niemand mehr kommt. Wahrscheinlich würde auch niemand wirklich verstehen warum man sich so aufregt, eine halbe Stunde oder mehr ist ganz normal. Dies liegt aber auch unter anderem an der Verkehrslage, man muss sich auf Tro-tros verlassen, die keinem Zeitplan folgen und somit kann man nie genau sagen wann man wo ankommt. Aber ich bin ja schon froh wenn mir überhaupt abgesagt wird und die Verspätung unter einer halben Stunde bleibt.

Meine Tante kommt!

Am späten Nachmittag ruft mich plötzlich meine Tante an: "Hey my dear, we´re coming in about half an hour to visit you!"  Waaaas? Wie bitte? Jetzt sofort?!? Eigentlich habe ich mich gerade für einen nächtlichen Ausflug nach Cape Coast fertig gemacht, denn ich wollte dort mit Milena Salsa tanzen gehen. Zusätzlich hat es gerade angefangen sehr stark zu regnen (der erste Regen und Start der Regenzeit) und die Wege sind alle überschwemmt. Außerdem wird es in einer halben Stunde dunkel, in meinem Zimmer herrscht Chaos und ich muss unbedingt noch duschen. Ich bin völlig überfordert mit dieser plötzlichen Konfrontation und möchte am liebsten Absagen. Stattdessen sage ich natürlich zu und hetze mich beim duschen und aufräumen ab. Ein weiterer Anruf - sie sind da! Gloria, meine Tante, ihr Mann Samuel und ihr Fahrer, warten beim Internet Cafe an der Hauptstraße auf mich. Nervös und völlig gestresst laufe ich, im noch andauernden Regen, durch Sturzbäche und Tümpel die mir bis zum Knöchel reichen, zur Strasse. Mit völlig durchnässten Schuhen komme ich am parkenden Jeep meiner Tante an. Der Regen hat aufgehört und aus dem Auto steigt ein freundlich wirkendes Paar. Gloria stürmt sofort auf mich zu und nimmt mich in den Arm, immer wieder erklärt sie mir wie froh sie ist mich endlich kennenzulernen und ich versichere dass es mir genauso geht. Fast ebenso herzlich werde ich von ihrem Mann begrüßt und meine Aufregung beginnt sich zu legen. Gemeinsam gehen wir zu Fuß zu meinem Zimmer . Ich bin mir etwas unsicher darüber wie meine offensichtlich sehr wohlhabende neue Familie auf die ärmliche Umgebung und mein einfaches Zimmer reagieren wird. Als wir den Hof und dann mein Zimmer betreten kann ich ein leichtes entsetzen in Glorias Augen erkennen. "Hier wohnst du also?!" "Wo ist dein Schrank, du kannst deine Sachen nicht  einfach so liegen lassen! Wo ist dein Kühlschrank? Wo ist der Fernseher?" Ich versuche ihr alles zu erklären, aber sie sagt mir sofort, dass sie mir Morgen ein paar Sachen bringen wird und ich habe nicht das Gefühl, dass sie es einfach so hinnimmt als ich ihr erkläre, ich würde nichts brauchen und schon gar keinen Fernseher. Da es in Komenda nur ein einziges Hotel gibt und dieses nicht gerade sehr komfortabel ist, entscheiden sie auf Rat von Milena, ein Hotel eine halbe Stunde entfernt am Strand zu nehmen. Vorher wollen sie mich jedoch nach Cape Coast bringen wo ich Milena zum Salsa Kurs treffen wollte. Die 3/4 Stunde fahrt unterhalten wir uns über alles Mögliche. Gloria ist Lehrerin für Englisch am College in Accra, ihr Mann Sam ist Consulting Geologist für Goldminen. Meine Tante ist die Halbschwester von meinem Vater, sie haben den selben Vater aber unterschiedliche Mütter. Außerdem erfahre ich erneut das Boafo ein sehr angesehener, traditioneller afrikanischer Name ist und auf deutsch "Helfer" bedeutet. Angekommen in Cape Coast treffen wir Milena. Ich steige aus und wir verabreden uns für den darauf folgenden Tag. 
Das spontane Familientreffen hat mich emotional ganz schön mitgenommen und ich bin froh nun direkt Ablenkung in der ghanaischen Salsa Szene zu finden. Nie hätte ich daran gedacht in Ghana einmal Salsa zu tanzen, aber der Tanz ist dabei hier sehr populär zu werden. Alle sind in schwarzweiß gekleidet, nur ich und ein paar andere unwissende tragen andere Farben. Ich fühle mich etwas unwohl, als dann jedoch der Anfängerkurs beginnt, bin ich positiv überrascht wie viel Spaß ich dabei habe.

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